Schreibwerkstatt-Wiki: Ergebnisse der Analyse der Textbearbeitungen

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Inhaltsverzeichnis

Einige wichtige Daten

Wenn man die „History“ der einzelnen Seiten des Schreibwerkstatt-Wikis analysiert, stellt man fest, dass in den 57 Tagen des Projektes von den Kindern insgesamt 1326 Änderungen vorgenommen wurden, also durchschnittlich mehr als 23 Änderungen pro Tag und mehr als 88 Änderungen pro Schüler im Schnitt. Auch nach dem Projekt waren bzw. sind die Schüler im Schreibwerkstatt-Wiki aktiv. Allerdings wurden die Änderungen, die nach dem Projekt durchgeführt wurden, nicht in der obigen Berechnung berücksichtigt. Von den ursprünglich 15 teilnehmenden Kindern der beiden AGs haben sich alle im Wiki beteiligt, wobei ein Kind nur sechs Änderungen vorgenommen hat. Allerdings hat dieses Kind nur an einer Sitzung teilgenommen. Der Schüler mit den meisten Änderungen hat sogar 436 Änderungen getätigt.


Überblick über alle verfassten Aufsätze

Die 13 regelmäßig teilnehmenden Kinder der beiden AGs haben insgesamt 17 Aufsätze geschrieben, von denen 14 Geschichten in Schreibkonferenzen überarbeitet wurden. Vier Kinder haben freiwillig eine zweite Erzählung geschrieben, von denen zwei Aufsätze fertig verfasst sind; die anderen beiden Geschichten befinden sich noch in Bearbeitung. Eines der Kinder, welches zwei Geschichten geschrieben hat, hat sogar beide Erzählungen gemeinsam mit einem anderen Schüler in einer Schreibkonferenz überarbeitet.


Ergebnisse der Analyse der Textbearbeitungen

Klassifikationsschema von Revisionen

Bei der Analyse der Schreibkonferenzen habe ich mich auf das Klassifikationsschema nach Baurmann & Ludwig 1984 bezogen, welches im Folgenden dargestellt wird.


Revisionsklasse Revisionshandlung
Nachträge Vorwiegend auf der Buchstabenebene: Kleine Veränderungen am Schriftbild, Ergänzungen vergessener Grapheme, Streichung überzähliger Zeichen.
Korrekturen Vorwiegend auf der Wortebene: Orthografie, Interpunktion, teilweise auch Syntax und Semantik.
Verbesserungen Vorwiegend auf der Satzebene: Stilistische Veränderungen, die sich auf den Autor, Leser und Text beziehen: Wortwahl, Satzkonstruktion, Wortwiederholungen usw. Tiefe der Revision nimmt zu
Redigierung Vorwiegend auf der Textebene: Umstellungen am Text, Veränderungen in der Logik und in der Organisation des Textes, Ziel: größere Verständlichkeit für den Leser.
Reformulierungen Vorwiegend auf der Textebene: Entwicklung eines neuen Schreibziels: Reformulierungen reichen vom Verfassen neuer Abschnitte bis hin zu einem völlig neuen Text. Es hat sich eine neue motivationale Grundlage ergeben (Ossner 2006, 166 [1]).


Zudem habe ich analysiert, welche Handlungstätigkeiten Schreiber und Berater innerhalb der Schreibkonferenz ausgeführt haben. Drei Vorgänge sind möglich:

  • Additionen: Es werden Wörter oder Sätze ergänzt.
  • Deletionen: Es werden Wörter oder Sätze weggelassen. Größere Textabschnitte werden eher selten gestrichen.
  • Variationen: Einzelne Wörter werden zur Präzisierung durch andere ersetzt oder es werden Wörter, seltener ganze Sätze umgestellt (Ossner 2006: 165f. [1])


Ergebnisse der Analyse der Schreibkonferenzen

Bei der näheren Betrachtung der einzelnen Versionen kann man die kollaborativen Schreibprozesse der Schüler gut verfolgen. Die Kinder haben innerhalb der Schreibkonferenzen in Bezug auf die Revisionsklassen 71 Nachträge, 78 Korrekturen, 36 Verbesserungen und 12 Redigierungen vorgenommen, also insgesamt 197 Änderungen. Man kann erkennen, dass bei den höheren Revisionsebenen, die eine zunehmende Tiefe der Revision erfordern, die Anzahl der Überarbeitungen abnehmen, weil sie kognitiv anspruchsvoller sind. Die abgebildete Tabelle gibt einen detaillierten Überblick über die einzelnen Textbearbeitungen.


Revisionsklasse Revisionshandlung
71 Nachträge
  • 63 Additionen:
    • 5 Hinzufügungen von Graphemen
    • 58 Hinzufügungen von Leerzeichen
  • 2 Deletionen:
    • 2 Streichungen von Graphemen
  • 6 Variationen:
    • 4 Satzzeichen: z.B. Ausrufezeichen anstatt Punkt
    • 1 Uhrzeit verändert: 18:00 anstatt 7:00
    • 1 Schreibweise eines Wortes: ENDE anstatt =Ende=
78 Korrekturen
  • 49 Orthografiefehler
  • 21 Interpunktionsfehler
  • 7 Tempusfehler
  • 1 Kasusfehler
36 Verbesserungen
  • 9 Additionen:
    • 6 Hinzufügungen von Wörtern
    • 1 Nebensatzkonstruktion eingefügt
    • 2 Redebegleitsätze der wörtlichen Rede ergänzt
  • 10 Deletionen:
    • 9 Streichungen von Wörtern
    • 1 Streichung einer Nebensatzkonstruktion
  • 17 Variationen:
    • 10 Variationen in Bezug auf die Wortwahl
    • 2 Umstellungen innerhalb des Satzes
    • 1 Verbindung zweier Hauptsätze durch ein Komma
    • 4 neue Satzanfänge gebildet
12 Redigierungen
  • 10 Additionen: Hinzufügung von Sätzen/ Satzteilen
  • 1 Deletion: Streichung eines Satzes
  • 1 Variation: Änderung der Überschrift


Die Zahlen in der oben genannten Tabelle veranschaulichen, dass Schreibkonferenzen in einer Wiki-Umgebung erfolgreich umgesetzt werden konnten. Hervorzuheben ist dabei sowohl die Quantität als auch die Qualität der erfolgten Überarbeitungen. Der Großteil der Revisionen besteht zwar aus einfachen Korrekturhandlungen, aber die Grundschüler haben ihrem Schreibvermögen entsprechend schon viele Überarbeitungen vorgenommen, die zu den höheren Revisionsklassen zählen. Das durchaus hohe Niveau dieser Überarbeitungen schafft eine optimale Voraussetzung für die Entwicklung von Schreibkompetenzen. Die Schlussfolgerung aus der Analyse der Textbearbeitungen sowie aus meinen Beobachtungen ist, dass die Eigenschaft von Wikis, kollaborativ Texte erstellen zu können, vor allem für Schreibkonferenzen ausgenutzt werden kann, denn in Schreibkonferenzen geht es eben genau darum, dass mehrere Personen gemeinsam am gleichen Inhalt arbeiten.


Es ist anzumerken, dass die Aufschlüsselung der Revisionen nur so detailliert aufgestellt werden konnte, da die Versionierungskomponente von Wikis es erlaubt, vorgenommene Änderungen auch im Nachhinein zu rekonstruieren. Mithilfe der Versionierungsfunktion lassen sich die einzelnen Revisionshandlungen der Schreibkonferenzen auf einfache Weise analysieren. Hier wird besonders deutlich, dass ein Potenzial von Wikis für die Schule ausgenutzt werden kann. In der zugrunde liegenden Arbeit dienen die Ergebnisse der Analyse zwar zur Überprüfung der Eignung von Wikis für Schreibkonferenzen, aber mit Ausblick auf Anwendungen im Bildungsbereich kann der Lehrer die Analyse als Grundlage für die Bewertung der Schreibprozesse nutzen.

Revisionshandlungen außerhalb der Schreibkonferenzen

Die Schüler haben nicht nur innerhalb der Schreibkonferenzen die Erzählungen anderer Kinder überarbeitet, sondern auch freiwillig von zu Hause aus. Von den 13 regelmäßig anwesenden Teilnehmern der AG haben sechs Kinder außerhalb der Schreibkonferenzen in den Aufsätzen anderer Kinder Änderungen vorgenommen. Sie haben 21 Nachträge, 40 Korrekturen und 11 Verbesserungen ausgeführt, also insgesamt 72 Überarbeitungen getätigt. Die Zahlen unterstreichen, dass kollaboratives Schreiben vielfach auch außerhalb der Schreibkonferenzen praktiziert wurde. Die Tabelle gibt einen Überblick über die einzelnen Textbearbeitungen.


Revisionsklasse Revisionshandlung
21 Nachträge
  • 15 Additionen: Hinzufügung von Leerzeichen
  • 6 Deletionen: Streichung überzähliger Grapheme
40 Korrekturen
  • 28 Orthografiefehler
  • 11 Interpunktionsfehler
  • 1 Grammatikfehler
11 Verbesserungen
  • 3 Additionen: Hinzufügung von Wörtern zur Explizierung
  • 2 Deletionen: Streichung überzähliger Wörter
  • 6 Variationen:
    • 3 Variationen in Bezug auf die Wortwahl
    • 1 Umstellung innerhalb des Satzes
    • 1 Nebensatzkonstruktion eingefügt
    • 1 neuer Satzanfang gebildet



Das hohe Engagement der Schüler die Aufsätze anderer Kinder aus Eigeninitiative zu korrigieren, lässt sich aus der Vielzahl der vorgenommenen Überarbeitungen, die aus der Analyse der Beispiele sowie aus den Zahlen in der oben genannten Tabelle hervorgehen, ableiten. Bei der genaueren Betrachtung der Textbearbeitungen wird deutlich, dass die Kinder sogar nicht nur einfache Korrekturhandlungen, sondern auch kognitiv anspruchsvollere Revisionen ausgeführt haben. Im herkömmlichen Unterricht bietet sich in der Regel nicht die Möglichkeit, dass Schüler aus Eigeninitiative die Texte anderer Kinder überarbeiten. Hier kann vor allem das Potenzial von Wikis ausgenutzt werden, dass jeder Wiki-Seiten bearbeiten kann. Bemerkenswert ist aber auch allein die Tatsache, dass so viele Schüler überhaupt die Wiki-Artikel der anderen Kinder ohne Aufforderung von mir verbessert haben.

Es ist anzumerken, dass in der vorliegenden Analyse nur die Revisionen in den Aufsätzen und nicht auf den Benutzerseiten der Kinder berücksichtigt wurden. Demnach ist sowohl die Anzahl der Überarbeitungen als auch die Anzahl der beteiligten Kinder daran noch höher.

Die Schlussfolgerung aus der Analyse dieses Teilbereichs ist, dass Wikis nicht nur eine geeignete Plattform für kooperative Textbearbeitungen darstellen, sondern auch eine hohe Motivation und Einsatzbereitschaft der Kinder bewirken. Dieser Befund unterstreicht, dass Wikis für Lernarrangements in der Grundschule sinnvoll eingesetzt werden können.


Verschlechterung des Aufsatzes durch Revision

In manchen Fällen haben die Textbearbeitungen nicht eine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung des Aufsatzes bewirkt


Beispiel 1:

  • Vor der Überarbeitung: Polizei
  • Nach der Überarbeitung: Poliezei

Beispiel 2:

  • Vor der Überarbeitung: Als sie da waren sagte Tobis Vater tschüs.
  • Nach der Überarbeitung: Als sie da waren sagte:" Tobis Vater tschüss."


Abschließend sollte festgehalten werden, dass die fehlerhaften Überarbeitungen nur einen geringen Teil aller Revisionen der Kinder ausmachen. Auch wenn Schreibkonferenzen nicht zu einer Textverbesserung führen, bedeutet das nicht, dass die Schüler nichts lernen. Auch mit diesen Einschränkungen leisten kooperative Textüberarbeitungen einen Beitrag zur Entwicklung der literalen Kompetenz, indem die Schüler die Besonderheiten der schriftlichen Kommunikation erfahren und lernen, Strategien der Textüberarbeitung anzuwenden sowie mit Sprache zu handeln (Becker-Mrotzek/ Böttcher 2003: 109 [2]).


Die „Notwendigkeit, in der Gruppe Ausdrucksformen für sprachliche Phänomene zu finden, schult den Aufbau wichtiger metakommunikativer Fähigkeiten“ (Ossner 2006: 178). Demnach müssen Schreibkonferenzen als ein Methodenkonzept angesehen werden, welches einen Beitrag zur Sprachreflexion leistet.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Ossner, Jakob (Hrsg.) (2006): Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh.
  2. Becker-Mrotzek, Michael/ Ingrid Böttcher (Hrsg.) (2003): Texte bearbeiten, bewerten und benoten. Schreibdidaktische Grundlagen und unterrichtspraktische An¬regungen. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor.


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